Artist Statement

 

(Sandie Brischler)

Text über meine gesamte künstlerische Arbeit

Ich arbeite mit Notationen, Zeichen, Linien, grafischen Prozessen, Körper, Blindheit, Kreisen und Blickfeldern. Schwarz und Weiß sind meine Experimentierfelder. Papier ist mein Hauptmaterial, als mehrdimensionale, durchschreitbare Fläche.

Mich interessiert an der Kunst das, was die Kunst mit dem Unbewussten, mit der Medizin und dem Heiligen gemeinsam hat. Meine künstlerische Suche forscht in den Abgründen des Bewusstseins, den Momenten, an denen das Bewusstsein sich vergisst. Diese Themen waren Bestandteil meiner Abschlussarbeit, die ich 2002 an der Sorbonne in Paris schrieb. Im Rahmen dieser Arbeit studierte ich Literatur zum Thema Schreiben (als Inschrift), Kunst (als Spur) und die Verbindung zu der Psychoanalyse. In dieser Zeit schuf ich zudem meine ersten Kunstwerke, Fotografien und Installationen, im Umfeld der Pariser Krankenhäuser. Dort interessierte mich am menschlichen Körper besonders, das Unvollkommene.

In seiner Evolution ist der Mensch für mich ein Wesen, das immer auf der Suche nach Heilung ist. Im Zentrum meiner künstlerischen Arbeit steht dieses Konzept des ewigen Versuchs, der Zeit und der Wiederholung, der Permanenz des Prozesses um der Existenz eine symbolische Formulierung zu geben.
Der Begriff bzw. das Konzept der Prothese, als ein künstlicher Ersatz für etwas nicht mehr Funktionstüchtiges, war zu Beginn meiner Arbeit sehr präsent. Meine ersten Werke waren Kompositionen mit Körpern und Objekten, die eine „Wiedervereinigung“ – teilweise notdürftige – eines zerstörten menschlichen Körpers darstellten.

Mit den Jahren hat sich dieser Zusammenhang zwischen “Körper“ und „Formulierung“ in eine persönliche, kohärente Handschrift verwandelt. Antrieb war der Versuch, jene Spur aufzufangen, die der Körper von seiner Existenz, seinem Leben hinterlässt. Diese Schrift fand ihren Charakter durch das Studium und die Interpretation von Herzschlägen und ihrer Umbzw. Niederschrift in Linien, in der Elektrokardiographie (E.K.G). Diese medizinischen Zeichen unseres Lebensprinzips als auch die von ihnen aufgezeichneten Impulse und Störungen wurden in meiner Arbeit zu Ideogrammen, Buchstaben, KlangBildern, zwischen einer visuell und akustisch wahrnehmbaren Wirklichkeit. Frequenz und Aufzeichnungen wurden umgesetzt in sichtbaren Formen, geschriebene Werke, Linien und Strichen, grafische Umsetzung von Rhythmus und Lebensimpulsen, als Darstellung der Funktionen und Dysfunktionen unseres Organismus.

Seitdem entwickelt und konzentriert sich meine Arbeit auf dieses enge Feld zwischen Normalität und Abnormalität des Lebensprinzips: Es ist eine Erforschung der Zeichen, als wären sie ein Alphabet und die Kraft, die zwischen diesem Lebenszeichen und den flachen Linien besteht, die in diesem Fall den Tod bedeuten. So wird diese Schrift zu einer kontinuierlichen Variation der Beziehung zwischen Leben und Tod. In diesem menschlichen Sprach-Körper Prozess wurde diese Notation im Laufe meiner Arbeit als Sprachstruktur der Zeichnung bezeichnet und in konkrete Schriftform umgesetzt: Später entwickelten sich in meinen „semantischen Bildern“ die Wörter und ihre lexikalischen Felder in einem sinnlichen und grafischen Prozess zu Zeichnungen. Wortfelder undsemantische Artikulation vervielfältigen sich auf dem Papier als Bildsprache.

In meiner grafischen Arbeit als auch in meiner Performance, hat sich diese schriftliche Schaffen zu einer Art écriture automatique entwickelt, in einer Fortsetzung grafischer Prozesse: Zeichensystem, Klang Gebilde, systematische Rhythmen, Kraftlinien und Sehfelder, konkrete Schriftformen, semantische Bilder, Body-Writing und Blind-Zeichnung, alle diese Schreibakte werden zum vitalen Text, Tagebuch, Gedächtnis, Obsession. Sie zeugen und transkribieren das Bedürfnis eines geschriebenen Prozesses als grundlegende Einprägung.

Seit den letzten Jahren arbeite ich parallel besonders mit Performances, wo ich mit den körperlichen Fähigkeiten sich grafisch auszudrücken und Spuren zu hinterlassen, experimentiere. Dabei geht es darum, den Körper mit einer schriftlichen und wörtlichen Wahrnehmung auseinanderzusetzen. In meiner Performance Body-Writing II werden „zeichnen“ oder „schreiben“ als Aktion innerhalb einer physischen Dynamik gezeigt: Lebenspuren, Spontaneität der Geste, Bewegungen werden als körperliche Schrift empfunden (als Grammatik des Körpers), im Zusammenhang mit dem Papier und dem Raum.

Zwischen Zeichen und Sprache, Spuren und der Fähigkeit (oder Unfähigkeit) sich zu formulieren, physische Schrift, zwischen Artikulationsversuchen und Wörtern, wird der Körper zum „Bewegungsdiagramm“: In diesen momentanen und intuitiven Akt erzeugt er Spuren und Formen. Der Körper wird selbst zum Zeichen, er wirkt als ausgesprochenes Wort, er ist eine bedruckbare Fläche und schreibt sich selbst auf eine lange weiße Papierrolle, als grafischer Text, lebendiges Zeichen, ewige réécriture und ewiger Versuch sich in der Welt einzuprägen.

Ich arbeite mit diesem purem minimalistischem Konzept und benutze dafür verschiedenen Medien: Zeichnungen, Fotografie, Video, Ton und Performance. Ich würde meine gesamte Arbeit – und ihre unterschiedlichen Umsetzungen – vor allem aber nur als Versuch bezeichnen: Formulierungsversuch, Schriftlicher Versuch, Versuch zu sein.

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Textes d’autres auteurs (sur le travail de Sandie Brischler)

 

JAN LAURENS SIESLING, historien d’art (Ardennes, France, 2004)  / Texte du catalogue de l’exposition « Art-Prothèse » au centre d’art de la Pommerie, en juin 2004

Text in English

Text auf Deutsch

Tekst in het Nederlands

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GILBERT PONS, auteur, agrégé de philosophie, photographe et critique d’art (La Blanquié, 2004) / Pour le magasine « Turbulences vidéos » / janvier 2005

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MOHAMED KHIYAT, Journaliste-Analyste, Essayiste, Professeur en communication culturelle et chroniqueur artistique (Rabat, 2018)  / Texte écrit à l’occasion de l’exposition « Ecriture(s) » au centre d’art D’Art Louane de Rabat (Maroc)

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